Auszüge aus: Gerichtsbeschluss Oberstes Höchstgericht 30.1.1996
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr .Gerstenecker, Dr .Rohrer und Dr .Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache xxx den Beschluss gefasst: Dem Revisionsrekurs der Großmutter wird nicht, dem Revisionsrekurs der Mutter wird dagegen Folge gegeben.
Aus der Begründung:
Die International Sahaja Yoga-Schule befindet sich in der Nähe eines kleinen Dorfes am Fuße des Himalaja. Die klimatischen Verhältnisse sind mit jenen in Österreich vergleichbar. Die Schulgebäude sind neu und hell, die Ausstattung einfach~ Sporteinrichtungen sind vorhanden. Ein weiterer Ausbau des Schulgeländes und der Sporteinrichtungen ist im Gange oder in Planung. (Anmerkung: inzwischen sind u.a. weitere Schulgebäude und zwei neue Sportplätze errichtet worden.) Die Schüler sind in Schlafräumen (bis zu 15 Kindern) untergebracht~ ihr persönliches Gepäck befindet sich in Koffern, die unter den Betten aufbewahrt werden. Kästen oder Spinde existieren nicht. (Anmerkung von mir: inzwischen habe die Kinder eigene Kästen und Schreibtische in den Schlafräumen.) Die Schuluniform entspricht indischer Alltagskleidung, die medizinische Versorgung ist ebenso wie die ordnungsgemäße Verpflegung gesichert. Das Schuljahr dauert von Anfang März bis Mitte/Ende Dezember; danach verlassen die Schüler das Internat bis zum Beginn des nächsten Schuljahrs. Von den 19 an der Schule tätigen Lehrern, denen Wohnungen im Bereich des Schulgeländes zugewiesen sind, stammen 18 aus Indien~ eine Lehrerin ist österreichischer Herkunft. (...)
Die Schule wird derzeit nur bis zur 9.Schulstufe geführt, weshalb es noch keine Abschlussprüfungsergebnisse gibt. Über die 10.Klasse hinaus ist eine Erweiterung der Schule durch eine 11. und 12.Schulstufe vorgesehen. Erst die Abschlussprüfung auch über diese Schulstufen ermöglicht den Zugang zu indischen Universitäten. Der Unterricht in dieser Schule (Schülerzahl, Lehrerausbildung) liegt weit über durchschnittlichem indischen Niveau. Der Tagesablauf ist geregelt, zwischen 21 und 5,30 Uhr herrscht Nachtruhe. Der Unterricht dauert - unterbrochen durch Mittagspause und Freigegenstände - von 8 bis 16 Uhr. Am Morgen und am Abend ist - je nach dem Lebensalter - bis zu einer Stunde Meditation vorgesehen. (...)
Nun kann den bisherigen Verfahrensergebnissen - wie schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend festgehalten hat - gerade NICHT entnommen werden, dass der Minderjährige durch das Verhalten seiner Mutter bzw. durch seine engen Kontakte zur Gruppe Sahaja Yoga abträglichen Einflüssen ausgesetzt oder dadurch bei ihm eine schädliche Entwicklung eingeleitet worden wäre.
Seit seiner Rückkehr aus Dharamsala Indien ... wird der Minderjährige in jener Klasse des von ihm bis zu seinem Indienaufenthalt besuchten Gymnasiums unterrichtet, in der er sich auch befände, hätte er den Unterricht an dieser Schule nicht unterbrochen: Nach dem Bericht des Klassenlehrers ist er "ruhiger und ernster" geworden; in die Klassengemeinschaft ist er voll integriert und im Begriff, den versäumten Lernstoff nachzuholen. (...)
Diese Beobachtungen lassen doch wohl nur den Schluß zu, dass der Minderjährige auch durch die Internatsunterbringung in seiner Entwicklung keinen Schaden genommen hat.
Es soll zwar nicht übersehen werden, dass der 13-jährige - sollte er wieder in die Schule in Dharamsala/Indien zurückkehren - mehr als einem dreiviertel Jahr hindurch ununterbrochen der mütterlichen Zuwendung, der familiären Geborgenheit und der Möglichkeit zur Aussprache mit seinen primären Bezugspersonen seines bisherigen Lebens entbehren müsste, doch wäre der Minderjährige, worauf die Mutter in ihrem Rechtsmittel treffend hinweist, in dieser Hinsicht mit ähnlichen Verhältnissen konfrontiert, wäre er etwa in einem elitären Internat in West- oder Mitteleuropa untergebracht: Niemand fiele es deshalb ein, in die Obsorge der Eltern wegen einer solchen Gestaltung der Erziehung ihrer Kinder einzugreifen. ...Die weit verbreitete Internatserziehung hat ganz allgemein eine weitestgehende Fremderziehung zur Folge ... Das gilt selbst dann, wenn das schulpflichtige Kind bei im Ausland aufhältigen Personen untergebracht ist. (...)
Die strenge Internatsordnung, insbesondere die verhältnismäßig geringen Möglichkeiten zum Kontakt mit der Außenwelt, rechtfertigten für sich allein noch nicht die Befürchtung, das Kind könnte dadurch lebensuntüchtig und weltfremd erzogen werden: Einerseits kann nicht im geringsten abgeschätzt werden, welchen Lebens- und Bildungsweg der jetzt l3-jährige einmal einschlagen wird, zum andern ist dem Minderjährigen von seinem Klassenlehrer nach seiner Rückkehr sogar eine ungewöhnliche Reifung attestiert worden.
Deshalb kann auch den von den Vorinstanzen ins Treffen geführten Erwägungen, der Minderjährige müsste sich nach seiner Rückkehr in jedem Fall Eignungsprüfungen unterziehen und auch ein Universitätsstudium in Österreich wäre nicht ohne weiteres möglich, kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden: Zum einen hat der Minderjährige durch den Unterricht an der indischen Schule nicht bloß in wichtigen Fächern - etwa Englisch - einen beträchtlichen Bildungsvorsprung erlangt und einen außergewöhnlichen Reifungsprozess durchgemacht, zum andern können erforderliche Ergänzungsprüfungen - wie sie nach dem Bericht des Klassenlehrers offenbar auch derzeit schon in Gang sind - auch nachgeholt werden.